NEURONADRAGOGIK verbindet die Elemente der Neuropsychologie, Neurophysiologie und Neuroanatomie mit dem aktuellen Wissen der Erwachsenenbildung.
Der Unterrichtsprozess mit Erwachsenen basiert in diesem Konzept auf der Arbeit und den Veränderungen des Gehirns in den verschiedenen Phasen des menschlichen Lebens. Die Tätigkeiten eines/r Spezialisten/in in der Erwachsenenbildung erfordern Vertrautheit mit den folgenden Themen:
- Der Prozess des Empfangens und Verarbeitens von Reizen aus Umgebung.
- Gedächtnis und seine Funktionsweise.
- Die Rolle und Bedeutung von Erfahrung und Vorwissen im Prozess des Erinnerns und Konstruierens von Wissen.
- Unterschiede in der Funktion der beiden Gehirnhälften.
- Der Einfluss von Stress und Emotionen auf den kognitiven Prozessen.
- Individuelle Unterschiede zwischen den Lernenden in Bezug auf sensorischen Präferenzen und Lernstile.
- Konditionierung kognitiver Funktionen, die sich aus dem Reifungs- und Alterungsprozess ergeben.
Die Neuroandragogik ist eine für die Erwachsenenbildung sehr effektive Strategie, die auf Forschungsergebnissen zu kognitiven Prozessen im Gehirn und auf Wissen über die psychophysische Funktionsweise eines Erwachsenen basiert. Sie stützt sich in der Entwicklung von effektiven Lehr- und Lernmethoden auf messbare Indikatoren und Ergebnisse aus Tests zur Gehirnaktivität.
Neurowissenschaften bieten sowohl Lehrenden als auch erwachsenen Lernenden grundlegende Kenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns und den Ablauf kognitiver Funktionen. Die Fähigkeit, dieses Wissen in Situationen anzuwenden, die mit Lernen, Arbeiten und der Bewältigung von Alltagsproblemen zu tun haben, ist überaus wertvoll für jeden Erwachsenen. Viele Menschen hatten in ihrer Kindheit und Jugend mit Problemen in der Schule zu kämpfen (z.B. Schulversagen, ausbleibende Erfolge, Unzufriedenheit in und mit der Schule). Für andere wiederum waren die Möglichkeiten an intellektueller, beruflicher und persönlicher (Weiter-)Entwicklung eingeschränkt, sei es aufgrund ihres Alter, einer Krankheit, einer Behinderung oder ihrer wirtschaftlichen Situation. Personen aus benachteiligten Gruppen können heute, als Erwachsene, vom Wissen der Neuroandragogik profitieren und Lösungen finden für Probleme, die es ihnen nach wie vor erschweren, mit Bildung und Lernen zu beginnen.
Die Neuroandragogik untersucht auch den Einfluss von Emotionen auf kognitive Prozesse. Entgegen der lange vorherrschenden Meinung, Lernen sei nur ein kognitiver Prozess, zeigen Untersuchungen zur Gehirnaktivität während der Aufnahme von Information, dass dem nicht so ist. Vielmehr ist Lernen ein affektiv-kognitiver Prozess, der sehr stark von Emotionen beeinflusst wird. Emotionen können die Effektivität des Lernens erhöhen, schwächen oder gar vollständig blockieren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Menschen aus benachteiligten Gruppen spezifische Defizite im Bereich ihrer emotionalen Funktionen aufweisen (resultierend aus schwierigen Familienverhältnissen, langandauernder Diskriminierung, systematischer Abwertungen der Person, geringes Selbstwertgefühl, etc.). Wenn sie aber die neurobiologischen und biochemischen Mechanismen kennen, die für die Entstehung von Emotionen verantwortlich sind und sich deren Einfluss auf Entscheidungsprozesse, Problemlösungsstrategien und das Behalten und Erinnern von Informationen bewusst sind, werden sie viele ihrer Lebenserfahrungen verstehen können. Damit wird es ihnen zukünftig leichter fallen, Situationen und Entscheidungen (einschließlich solcher im Zusammenhang mit Bildung und Entwicklung) bewusster zu analysieren.
Die Neuroandragogik liefert keine fertige, völlig neue Lehr- und Lernmethodik. Sie formuliert allgemeine Regeln und Prinzipien für Handlungsweisen von ErwachsenenbildnerInnen und erwachsenen Lernenden, durch welche die Effizienz von Bildung erheblich gesteigert werden kann. Sie gibt Aufschluss über bisher verwendete didaktische Methoden und Materialien und bezieht sich dabei auf deren nachweisbare Erfolge im Prozess der Informationsverarbeitung und -speicherung. Neuroandragogik ist keine Revolution, sondern eine Evolution in der Erwachsenenbildung, die entsprechend unserem steigendem Wissen über die biologische und neurologische Funktionsweise des Menschen stattfindet.